SCHÖNE AUSSICHTEN:
FAVELA BAR 2006
 
 
Favela-Bar, Caipirinha, Performance und Schaufensterinstallation. So wird das neue Projekt des Labor Nowottny Mies angekündigt, das im November 2006 simultan zum Kunstmarkt Art Cologne rauschend eröffnet wird und dass dann als Installation bis Dezember zu sehen ist.
 
Im großen Schaufenster des Ateliers wird eine brasilianisch anmutende, einfach gestaltete  Bar eingerichtet. Hier werden zur Eröffnung von einer Brasilianerin Cocktails gemixt. Die Einrichtung ihres Arbeitsplatzes erzählt vom Traum des sozialen Aufstiegs. Durch eine schmalen Eingang kann der Raum betreten werden. Auf der Seite der Barbesucher  idealisieren Bilder aus Reiseprospekten den deutschen Traum von Sonne, Strand und Samba. Gastraum und Ausschank sind als künstlerische Rauminstallation angelegt, die man aber nicht nur als Kunstwerk von außen betrachten kann, sondern die man betritt und damit auch bespielt. Der Zuschauer wird so zum aktiven Teil des Kunstwerks. Befindet er sich im engen Raum zwischen Rückwand und Schaufenster, wird er für den Betrachter auf der Straße wiederum Teil eines lebendigen, klassisch anmutenden Bild-Reliefs.
 
Durch den Wahrnehmungsfilter der westlichen Kulturen versteht man unter einer Favela üblicherweise ein Elendsquartier am Rand einer Metropole, ein Ort der gescheiterten Existenzen und rechtsfreier Lebensraum der sozialen Unterschichten einer Stadt. Transformiert man dieses Klischee in ein uns vertrautes Umfeld, können neue Sichtweisen auf scheinbar vertraute Situationen gewonnen werden.
Der stadtplanerische Versuch „Ebertplatz-Passagen“ entwickelte sich durch nachlässigen Umgang durch die Stadtbehörden in den letzten Jahren dahingehend, dass hier nahe dem Stadtzentrum ein Un-Ort entstanden ist, Anziehungspunkt für soziale Randgruppen, durch leerstehenden Ladenlokale zur Betonwüste degeneriert. Rolltreppen rosten funktionslos vor sich hin und auch der benachbarte Brunnen war dieses Jahr wieder einmal nicht in Betrieb.
 
Diesen Un-Ort mit Leben und Inhalten zu füllen ist seit einem Jahr erklärtes Ziel des Projektateliers von Michael Nowottny und Gerd Mies. Auf der Suche nach neuen Atelierräumen haben sie sich bewusst für diese spezielle Raumsituation entschieden und ergänzen ihre bildnerische Arbeit mit  öffentlichen, performativen und konzeptionellen Projekten.
Mitten in Köln eine Favela zu behaupten, zeigt wieder einmal die gutgesetzte Ironie und Stringenz  in den künstlerischen Versuchsanordnungen des Labors: Brasilien als Projektionsfläche der Phantasien einer exotischen, einfacheren, besseren Welt. Gleichzeitig aber auch der Hinweis und die Aufforderung an die Kölner, Initiative zu ergreifen, vorhandene Strukturen zu besetzen und aktiv zu gestalten. Jedes realisierte Projekt des Labors verändert die Wahrnehmung dieses Ortes durch das Publikum, kreative Netzwerke entstehen, Kunst wird produziert. Dies alles außerhalb der üblichen Strukturen von Kunstmarkt, Kunstförderung und Kunstkritik, aber dennoch immer auf hohem Niveau.
Mit den Mitteln der Kunst wird erreicht, was hier bisher nicht geschafft wurde: Ein lebendiges, aktives und positiv besetztes Umfeld zu gestalten. Die Caipirinhas werden ihr Übriges tun. Wer sagt denn, dass Kunst nicht auch mal berauschend sein kann?
 
Michael Staab
Künstler / Kurator, Köln